Messias Pseudomessias

(Aus: Neues Abendland 8, 1953, S. 397 – 407.)

Die einzig gültige und beinahe auch schon erschöpfende Antwort auf die Frage, was Kommunismus sei, kann nur lauten: Der Kommunismus ist eine pseudomessianische Heilslehre. Ihr Messias ist das klassenbewußte Proletariat oder der mit Franz Baader besser noch so zu nennende Proletarius als gesellschaftliche Klasse. Mitnichten folglich der gleichfalls mit pseudomessianischen Erwartungen verkündete, aber menschheitlich nicht klassengebundene Typus des Arbeiters im Vollsinne etwa Ernst Jüngers. Die eigentliche Heilstat dieses Messias-Christus-Proletarius besteht aber darin, daß er die Geschichte im marxistischen Begriffe eines pausenlosen Klassenkampfes zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten in die befriedete Übergeschichtlichkeit der klassenlosen Gesellschaft spontan, aktiv und militant hinüberführt und damit nicht das Proletariat als die Klasse der Ausgebeuteten allein, sondern einschlußweise die Gesellschaft, ja Menschheit mit erlöst. Um die Unwiderruflichkeit und Endgültigkeit dieser Erlösung jedoch für immer zu sichern, bedarf die klassenlose Gesellschaft und gerade sie der Diktatur des siegreichen Proletariats. Will heißen einer neuen Klassenherrschaft also, die nach Lage der Dinge wiederum nur eine Gewalt- oder gar Schreckensherrschaft sein kann. Zumindest für eine in Zahlen nicht angebbare Dauer bedarf sohin die klassenlose Gesellschaft einer derartigen neuen Klassenherrschaft, so daß im Grunde niemand eine Voraussage wagen kann, wann eigentlich die klassenkämpferische Geschichtszeit von der Übergeschichtlichkeit des Klassenfriedens wirklich abgelöst und die Menschheit von ihrer eigenen Geschichte und deren Unseligkeit erlöst sein wird.

Kommunismus ist Pseudomessianismus

Mit Fug mögen wir die Vorstellung einer die Krebsschäden aller Geschichte und geschichtlichen Dialektik ausheilenden Gesellschaftsklasse pseudomessianisch heißen oder, nach dem Sprachgebrauch der Johannesapokalypse, pseudoprophetisch. Und letzteres mit desto besserem Rechte, als der Zeitpunkt der eintretenden Erlösung eingestandenermaßen auch von der Wissenschaft, oder was dafür gehalten wird, mit einiger Genauigkeit nicht angebbar erscheint. Erst recht pseudomessianisch, erst recht pseudoprophetisch mutet aber der heilsame, heilbringende Vorgang deswegen an, weil er die ausschließliche Leistung nicht sowohl des Menschen-an-sich, der Gattung als solcher, des Proto- und Archetypus “Mensch schlechtweg”, darstellt. Als vielmehr die Leistung einer geschichtlich gewordenen, aus der Geschichte sogar herhausgeborenen Klasse darstellt, einer Klasse mithin, die man in Anspielung auf hegelisch-darwinische Gedankengänge das Erzeugnis einer dialektischen Zuchtwahl nicht unzutreffend nennen dürfte. Denn grundsätzlich und wesensgemäß aus den eigenen Anlagen und Keimen, durchweg sua sponte mithin, entwickelt jetzt ja die mit den Bleigewichten ihrer und unserer Geschichtlichkeit belastete, überbelastete Klasse alle die gegenwirkenden Kraft-Stoffe, welche den vergifteten Leib der Gesellschaft vom Erbübel der Ausbeutung für immer ausheilen und befreien. In der Tat, solches vollbringt die menschheiterlösende Klasse des internationalen, vom Kommunistischen Manifest messianisch aufgerufenen Proletariats oder wird es vollbringen, sobald es sich die unbedingte Macht erkämpft und – unter geeigneter Führung, versteht sich! – gelernt hat, sie im Geist, sei es des fünften Evangeliums, sei es der fünften Kolonne auszuüben.

Wenn aber eben der Glaube hieran für frühere Geschlechter etwas entschieden Wunderbares gehabt hätte, ja wenn er mit dem Glauben an das Wunderbare und sogar an das Wunder geradezu in eins gefallen wäre – nicht so den Heutigen. Nicht so den von der Wissenschaft seit einem Jahrhundert fortschreitend aufgeklärten Massen. An das Wunderbare des Wunder zu glauben, ihnen kann es schon darum nicht mehr in den Sinn kommen, weil ihnen inzwischen statt dessen der Glaube an die Wissenschaft ins Blut geimpft worden und sie diesen jungen Glauben mit dem älteren unwiderruflich, wie es nach unseren Erfahrungen jetzt aussieht, vertauschen lernten. Der Wissenschaft jedoch, zumindest der Wissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts, deucht wiederum nichts natürlicher, als daß das Niedere selbsttätig-selbstverständlich zu Höherem aufsteigt und das Untere nach oben trägt. Was den Arten und Gattungen, den Ordnungen und Stämmen des Tier- und Pflanzenreiches recht ist, muß daher den Ständen, Klassen, Stufen der menschlichen Gesellschaft billig sein.

Unmerklich, darum aber desto unzerreißlicher, wird in der Folge hier der Glaube wo nicht an die Wissenschaft überhaupt, so doch an eine dem Zeitbewußtsein vorzüglich einleuchtende Wissenschaft dem anderen Glauben an eine natürlich-spontane Entwicklung der verhältnismäßig niederen zu den verhältnismäßig höheren Daseinsstufen von vornherein schon eingemustert. Das aufgeklärte Verstandestier Mensch lernt von Tag zu Tag besser und stärker an die seinsoffenbarende Wahrheit der Wissenschaft glauben, und diese Wissenschaft, eine viel-, ja allesversprechende und insofern in der Tat fröhliche! verbürgt ihm ihrerseits dann nur zu gern angenommenen Glauben an Entwicklung, Aufstieg, Fortschritt. Ein dritter und fünfter Glaube bietet sich leicht, widerspruchslos und gefällig dar. Vornehmlich der Glaube zwar an die Sendung gerade der untersten und unterdrücktesten Gesellschaftsklassen, nach oben durchzubrechen und von dorther die Völkerherde des Erdreichs mit dem erstrittenen Stabe eiserner Macht zu weiden – Pseudomessias Proletarius sowohl der Herrscher und Herr wie der Erlöser und Retter der Welt. .

Von allen möglichen Einwänden hiergegen seien zwei seiner Erwähnung immerhin für wert erachtet. Als erster und nächster, vorhin schon gestreifter, daß die Wahrscheinlichkeit einer solch pseudomessianischen Selbsterlösung der klassenkämpferischen Gesellschaft zur klassenlosen und daher in sich endgültig befriedeten in keiner geschichtlichen Erfahrung eine Stütze findet. Wie weit wir in den Jahrbüchern unseres Geschlechts auch zurückblättern und mit welch angestrengt-angstvollem Eifer – nichts berechtigt uns zu einer Hoffnung, geschweige Vorhersage, es werde die Klassenherrschaft des Proletariats im abstechenden Unterschied zur feudalen oder bourgeoisen Klassenherrschaft auf jegliche “Ausbeutung” der früheren Ausbeuter aus freiem Willen und menschenliebendem Edelmut verzichten. Denn schlechterdings nicht einsichtig zu machen ist der Grund, weshalb just die Ausgebeuteten von gestern, in Gestalt zwar des vereinigten Proletariats sämtlicher Länder, wesensgemäß gegen die Versuchung zur Ausbeutung – ist sie nicht in der Wurzel einerlei mit der Versuchung zur Macht? – gefeit sein sollten.

Bedenkenswürdiger noch möchte ein zweiter Einwand werden. Der nämlich, daß eine von der Geschichte more dialectico gleichsam herausgemendelte Klasse, gesetzt, es sei die Geschichte tatsächlich bloß eine Kette von Klassenkämpfen aus eigenem Vermögen, eigener Vermöglichkeit, sich selbst ins Übergeschichtliche “entwickeln” könne. Nein, nicht sowohl entwickeln könne im landläufig gedankenlosen Mißbrauch dieses Allerweltsbegriffes: als vielmehr hinaufgesteigert und emporgestuft, wenn nicht sogar hinübergeformt und verwandelt! In Kraft solchen Geschehens, sag’ ich, das Vordergrundsbereich der Geschichte mit dem Hintergrundsbereich der Heilsgeschichte zwar vertauschend, aber eben dieses Tausches entweder nicht bewußt oder das Bewußtsein von ihm geflissentlich verdrängend. Denn eigentlich müßte ja diese Vertauschung zweier in sich verschiedener oder gar unvereinbarer Bereiche des Weltseins auch im Gemüte urteilsfähiger, Ur-Teils also fähiger! Kommunisten einen schlechthin verwirrenden Zwiespalt anstiften. Und dieses aus dem Grunde schon, weil der dem historisch-dialektischen Materialismus unabdingbar verpflichtete Wissenschaftsgläubige immer nur mittels eines wahren Todessprunges dort Fuß fassen kann, wo der vor- und überwissenschaftliche Glaube an einen Messias, und sei er noch so sehr verdiesseitigt, sich in den Tiefenlagen des Bewußtseins lebendig erhält. Rein von Vernunft und Verstandes wegen nämlich, will heißen von seiner Wissenschaftsgläubigkeit her, wird gerade der materialistisch geschulte Kommunist keinerlei Gläubigkeit in sich aufbringen an etwas wie Messianität, selbst wenn sie ins Pseudomessianische abgeirrt sein sollte.

Weit davon entfernt indes, daß ihn, den Kommunisten, dieser Kernzwiespalt ernstlich schwäche oder gar lähme, wird er ihm im Gegenteil zum unversieglichen Quell der Kraft. Just aus der innerseelischen Hoch- und Höchstspannung zwischen der historisch-dialektischen und der apokalyptisch-eschatologischen Hemisphäre des Seins, just aus diesem geschichtlich-heilsgeschichtlichen Wechselspiel, Gegen- und Zusammenspiel fast gleich starker, keineswegs freilich in gleichem Maße bewußt gewordener Antriebe, scheint dem Kommunismus seine Stoßkraft zuzufließen. Jene Stoßkraft, die ein Weltalter ins Wanken, wenn nicht zum Einsturz bringt, und die man seit Max Weber und J. Monnerot immer wieder mit der des jungen Islam nicht zu Unrecht verglichen hat. Obschon ja diesem die durchaus gegenwartsbedingte Zwiespältigkeit der Antriebe noch fremd ist oder doch anderswo zu suchen wäre als in der Spannung zwischen dem vorwissenschaftlichen und verwissenschaftlichten Bewußtsein.

Das letztere jedoch beiseite, bestätigt sich auch jetzt wieder nur die vorige Behauptung, daß der Kommunismus zwar als wissenschaftliches Dogma, nicht aber als pseudomessianische Heilsbotschaft widerlegbar ist. Zutiefst in der unterschwelligen Seelenschicht beursprungt, wo die Entscheidungen sowohl der Wissenschaft wie des Verstandes, der Vernunft sogar vorweggenommen, in der Strenge des lateinischen Zeitwortes mithin prä-judiziert werden – zutiefst in der unbewußten Kernschicht der Seele beursprungt, ist vielmehr auch der Kommunismus Nutznießer des Vorteils aller Heilsbotschaften. Erfreut auch er des großen Vorteils sich, ebenso unwiderleglich zu sein wir freilich auch unbeweisbar. Dies feststellen, läuft aber fürwahr nicht etwas darauf hinaus, daß der Kommunismus uns anderen auch bloß um ein Haar glaubhafter geworden wäre als zuvor. Oder sollten wir ihn schon rein um deswillen hin- und annehmen müssen, weil ihn kein Einwurf des Verstandes erschüttert und umwirft? Nichts liegt uns ferner. Nur sind wir jetzt mit unausweichlicher Notwendigkeit gehalten, die einzig mögliche Folgerung aus dem ermittelten Tatbestand zu ziehen, und dies mit äußerster Genauigkeit und Strenge zwar. Rund und kurz – es gilt für uns, gegen die pseudomessianische Heilsbotschaft der Kommunisten die Heilsbotschaft der echten und unverfälschten Messianität Christi aufzubieten.

Und wir andern?

Es gilt darnach für uns, die andern, die wahre und offenbarte Messianität des Herrn der Frohbotschaft ihrer Halbvergessenheit, Ganzverdunkelung zu entreißen und sie wieder so zu vermehren, als sei es das erst Mal. Wir überlassen es der Wissenschaft, den Kommunismus als Wissenschaft zum wer weiß wievielten Male zu widerlegen, und bleiben uns dabei bewußt, das Wissenschaft im besten Falle nur Wissenschaft, nicht aber einen Glauben widerlegen kann – am wenigstens jedoch den Glauben an die Wissenschaft. An Stelle solch fruchtloser Versuche überprüfen wir vielmehr in äußerster Straffung den echten und älteren Glauben, welcher nach Lage der Dinge eben der messianisch-christliche, eben der Glaube des Evangeliums ist und sein muß. Denn zwischen pseudomessianischer und eigentlich messianischer Gläubigkeit gibt es kein Drittes, es sei der Verzicht auf jegliche Gläubigkeit überhaupt. Der aber schlösse gerade für den Kommunismus zugleich den Verzicht in sich, künftig den Acheron, will meinen die Massen noch weiterhin zu bewegen.

Was aber nunmehr den älteren, offenbarten und als die Offenbarung des sich selber aussagenden Wortes überlieferten Glauben anbetrifft, so steht und fällt er mit der einzigen Tatsache, ob es gelingt, den Messias Jesus wieder auf den Thronstuhl der Menschheit zu setzen, von dem die Kommunisten ihn im Namen des Pseudomessisas Proletarius gestoßen. Denn hatte es bei Marx noch damit sein Bewenden, das mißhandelte Proletariat gelegentlich mit dem Gekreuzigten zu vergleichen, welchem die bürgerliche Gesellschaft sein Golgotha bereite – bei Lenin und Stalin ist es dabei nicht geblieben. Wohl hat auch ihnen das Proletariat das Schicksal des Gekreuzigten erlitten und erleidet es, selbstredend nur in den kapitalistischen Ländern! noch immer. Doch bedenkenswürdiger ist jetzt die erlösende Sendung des Proletariats, die ihm von den kommunistisch-sowjetischen Machthabern mit der ihnen eigentümlichen Verschlagenheit und Arglist unterstellt wird. Wohlverstanden also, mitnichten das Proletariat als solches maßt sich messianische Berufung an, Hoheit und Würde. Sondern seine derzeitigen Gebieter belasten es, die Lästerung nicht scheuend, ihrerseits mit dem messianischen Auftrag und zwingen es, den Pseudomessias in des Begriffes Buchstäblichkeit zu “mimen”. Zwingen es sohin, die Folgerung ist unausweichlich, als der geweissagte Antichrist den Hochsitz der Herrlichkeit einzunehmen – seit Jesu Dornenkrönung fürwahr der schauerlichste Mimos, der je gespielt ward und ihm in seiner Abgründigkeit überdies polar und antithetisch genau entsprechend!

Diese massiven, Massen wie Völker fanatisierenden Aber- und Afterglauben haben wir selbst, ich wiederhole es, einzig den mythisch und historisch zumal bezeugten Glauben an die Messianität des evangelischen Herrn entgegenzusetzen. Wobei es uns vor allem darauf ankommen muß, daß wir ins Mittelpunktereignis der evangelisch-christlichen Messianität, in Gottes Menschwerdung also, jetzt auch die Erlösung des Proletariats als solchem mit einbeziehen lernen. Denn soviel steht heute außer Zweifel – wenn die eigentliche, unheimliche Geschichtsnot unserer Gesellschaft, die Ausbeutung nämlich von Klassen durch Klassen eines tieferen Bezuges zur Menschwerdung schlechterdings entbehrt oder wenn sie einen solchen Bezug nirgends erkennen läßt, dann hat das heilsgeschichtliche Mittelpunktsereignis der Menschwerdung dem proletarischen Klassenbewußtsein nichts mehr zu bedeuten, weil nichts mehr zu verheißen. Dann hat die Heilsbotschaft aufgehört, “Die” Frohbotschaft zu sein, und nimmer wird der jetzt zum andern Mal begrabene Gott zum andern Male auferstehen.

Ob es in der Folge mithin noch Christentum, ob es noch den Christus, den Messias gebe oder geben könne, hängt nunmehr einzig davon ab, die Menschwerdung als die unabdingbare Bedingung nicht der Erlösung schlechtweg, sondern auch der Erlösung vom Erb- und Geschichtsfluche bisheriger Gesellschaft darzutun, der Ausbeutung als solcher, bloß wenn die Menschwerdung als diese Bedingung aufzuweisen wäre, dürfte das Christentum auch als Vergangenheit seiner Unvergänglichkeit, auch als Geschichte seiner Übergeschichtlichkeit, weil Heilsgeschichtlichkeit, versichert und gewiß sein. Dieser Aufweis wiederum kann kaum etwelche Schwierigkeiten machen, wenn in dem Drama der Menschswerdung zwei Szenen, Phasen oder Epochen deutlich unterschieden werden: um sie eben kraft solcher Unterscheidung als Grund und Folge, Voraussetzung und Nachwirkung miteinander zu verknüpfen.

Im Zuge der Menschwerdung

Die erste Epoche, in der Vorstellung der allzu vielen noch immer die einzige und abgeschlossene, möge hier zweckdienlich die des erscheinenden Gottes heißen und kann nach ihrem Begriffe lediglich die Lebensgeschichte Jesu umspannen. Unmittelbar an sie schließt sich die zweite des ankünftigen Gottes an, wie sie mit dessen Auferstehung und Auffahrt beginnt und bis heutigen Tages währt. Betreffs des erscheinenden Gottes nun gibt es seiner Erscheinung den vollen Sinn, auf der Erde geboren zu werden, sich lehrend, wandernd, heilend, segnend, leidend, opfernd und sterbend mitzuteilen und so, nach der Aussage des mythisch-mystischen Bildes, die heilige Vermählung mit ihr zu begehen. Obschon, oder richtiger: weil von wesenhaft übergeschichtlicher Beschaffenheit, bleibt diese Anvermählung wahrhaft nicht unfruchtbar, die der erscheinende Gott mit der Erde vollzieht. Denn diese geht jetzt mit dem Gnadensamen schwanger, welche seit der Stunde der Selbstopferung des Christus Messias wie die Sporen reifender Blumen nach allen Richtungen hin sich selber auszusäen nimmer aufhörten, noch aufhören werden.

Mit der Freisetzung dieser Gnadensaat, nach der Redeweise des Evangeliums der vielerlei Charismata des erscheinenden Gottes, hat also die zweite Epoche als die des ankünftigen Gottes begonnen. Dieselben Charismata waren bei Lebzeiten Jesu noch an seine Gegenwart im Fleische gebunden. Wobei die Stelle bei Markus wie bei Lukas Beachtung heischt, daß das Charisma mitunter sogar besonders schwieriger Austreibungen keineswegs den Jüngeren vorbehalten ist, vielmehr, zum unverhohlenen Verdruß der letzteren, dem einen oder anderen Außenseiter verliehen sein kann. Eine Stelle, die nebenbei vermerkt, jeden Vorzugsanspruch, von welcher Seite er auch erhoben werden mag, für jede Folgezeit hätte entkräften müssen und daher von Paul Schütz (“Das Evangelium”) neuerdings den Kirchengläubigen in diesem Sinne ausgelegt und eingeschärft wird.

Ungleich entscheidender für uns bleibt indes die Feststellung, wonach in der Menschwerdung zweiter Epoche die in der ersten noch mit der Lebensgeschichte Jesu irgendwie verhafteten Charismata aus dieser ihrer Haft befreit sind. Zu dem Ende zwar befreit, daß sie nach Maßgabe der jeweiligen errungenen und entsprechenden Freiheitsstufe unmittelbar vom einzelnen und mittelbar vom Leibe der Menschheit aufgenommen und ausgetragen werden, um eben diesen Leib zur echten Gesellschaft emporzuläutern. Wo immer solche Gnadensamen in den Individuationen, Konkretionen, Personen unserer Gattung “auf fruchtbares Erdreich fallen” – daß es nicht überall sein kann und auch die Menschwerdung sich in der zweiten Epoche nicht diesseitig vollendet, sagt gerade das Evangelium aus und voraus! – wo immer also die christ-messianische Saat einwurzelt, reift und ausgedeiht, da, aber auch nur da, entsteht in höherem Begriff Gesellschaft. Da und ausschließlich nur da widerfährt dem Corpus Sociale die viel eher sakramentale als revolutionäre Hinüberformung ins Corpus Mysticum, dem es sein Merkmal – versteht sich, unter anderen Merkmalen! – ein für allemal gibt, daß der geschichtliche Ausbeutermensch, innerlich, nicht äußerlich frei geworden, die Ausbeutung als solche verschmähen lernt.

Für denselben Vorgang einer langsam-unaufhaltsamen Übereignung christlich-messianischer Gnadenkeime, auch für ihn! hält die Bildersprache des Evangeliums das Bild vom Feuer in Bereitschaft. Mit Feuer werde der erscheinende Gott die Seinigen taufen, weissagt der Täufer mit dem Wasser. Und mit Feuer zu salzen – wen anders aber zu salzen als den natürlichen Leib jeglicher Menschengemeinschaft? – sinnt Jesus selbst den Jüngern, hierzu Berufenen, an. Beide Gleichnisse wollen just in diesem unserem eigenen Denkzusammenhang sorgsam befragt und bedacht sein, und beide drängen uns dieses Bedachtwerden um so gebieterischer auf, desto leichter man bisher den Gebrauch urtümlicher Bilder von unsausdenklicher Bedeutungsfülle zu nehmen geneigt war.

Schon gleichzeitig mit dem Ereignis der Menschwerdung hat Johannes die Taufe mit Feuer als merkmalgebend für die messianische Epoche im Unterschied zu der mit ihm selbst nunmehr ablaufenden vorher verkündigt. War es eine Anspielung etwa auf das mit Gottes Menschwerdung zum andern Male auflohende Feuer am Horeb? Aber von jenem wir ausdrücklich ja hervorgehoben, es habe den Dornbusch als den von ihm ergriffenen Weltstoff weder versehrt noch verzehrt noch verbrannt, während es bei der messianischen Taufe mit Feuer dem Täufer ganz offenbar um ein Versehren, Verzehren und Verbrennen an erster Stelle zu tun ist. Das Feuer am Horeb hat den Dornbusch ergriffen, ohne ihn anzugreifen, indes das Tauffeuer des Messias ein Angriff des Täufers auf den Täufling ist – ein Angriff und zugleich ein Eingriff, der nirgends seinesgleichen hat.

Unsere Wissenschaft – warum sollten ihre Ergebnisse hier nicht genützt werden, und geschehe es auch bloß auf Widerruf? – sie versteht unter Verbrennung grundsätzlich die Verbindung eines ihrer chemischen Elemente mit Sauerstoff. Darnach wäre Verbrennung recht und schlecht eine Verbindung, oder genauer noch und im Begriff der Schule – Oxydation. Für uns ein jeglicher Beachtung werter Wink, bei der messianischen Feuertaufe gleichfalls an eine sozusagen “dynamei” vor sich gehende Verbindung zu denken. Als eine Verbindung würde dann auch diese Taufe kenntlich und deutbar, wenn vielleicht auch nicht geradezu als eine Oxydation. Oder am Ende und alles in allem doch als eine Oxydation? Als eine Oxydation höheren Stiles nämlich im Vollbegriff einer himmlischen, einer göttlichen Alchimie statt unserer irdisch-menschlichen und deshalb auch allzumenschlichen Chemie? Derselben Alchimie folglich, wie sie, paracelsisches Vermächtnis, einem Jakob Böhme noch einigermaßen vertraut gewesen? So daß, wie das natürliche oder chemische Feuer, mit welchem sich die Wissenschaft befaßt, einen beliebigen Grundstoff oder dessen Abkömmlinge und Verbindungen, nennen wir Holz, nennen wir Kohle, mit Sauerstoff verbindet – das messianische Feuer dagegen den ganz besonderen Grundstoff unserer menschlichen Leib-Seele mit den im Kosmos seit Christ Auferstehung freischwebenden Gnadensamen. Mit eben jenem heilspendenden Allüberall messianischer Charismata folglich, für welches das Evangelium ein für allemal das mächtige Zeichen vom Hagion Pneuma verwendet, seinerseits als Geist oder Heiliger Geist nur unzulänglich – und daher auch mißverstanden genug – eingedeutscht. Ganz offenkundig vollbringt darnach auch der mit Feuer taufende Täufer Christus Messias eine Oxydation besonderer und eigentümlicher Art, wofern er den Weltstoff der menschlichen Leib-Seele mit dem Pneuma nunmehr “in Ewigkeit” verbindet.

Kraft einer Verbindung mit etwas ein anderes Etwas zu verbrennen, umschreibt jedoch das Wirken des Feuers noch nicht völlig. Denn wo immer die Bedingungen hierzu vorliegen oder hergestellt werden, ist es dem Feuer eigentümlich, durch die Verbrennung bestimmter Stoffe andere Stoffe zu schmelzen. So bringt brennendes Holz, glühende Kohle Stoffe von größerer Härte, wie etwa Erze, Metalle, zum Erweichen und Verflüssigen, um sie darauf unseren tausendfältigen Zwecksetzungen willfährig zu machen. Und wiederum scheint das Feuer des christ-messianischen Pneuma wo nicht ähnliches, so doch vergleichbares zu vollführen, sobald nämlich ein Grundzug des allgemein-menschlichen Geschehens unser Augenmerk auf sich lenkt, für welchen so starke Worte wie schicksalhaft oder verhängnisreich nicht zu stark sind. Der Vorgang aber, auf den jetzt abgehoben wird, besteht im wesentlichen darin, daß unsere Gesellschaft unstreitig sich befallen zeigt von einer fortschreitend und ausnahmslos auf sämtliche mitmenschlichen Verhältnisse erstreckten, zutiefst erschreckenden Verhärtung. Dies läßt sich mit einigem Vorteil auch dahin ausdrücken, daß das eigentlich so zu nehmende Protoplasma der Gesellschaft ihr “Erst-Bildestoff”, ihre noch leicht belebbaren, weil noch halb flüssigen Zellschäume mehr und mehr erstarren. Oder mit einem einzigen Wort – daß unserer Spätgesellschaft der Tod droht! Untrügliche Wahr- und Warnzeichen hierfür sind die fast gleichzeitigen Entwicklungen von Geldwirtschaft und Kapitalismus, Wissenschaft und Verwissenschaftlichung des Bewußtseins, Organisation und Technik, Maschine und Apparatur nebst allen zugehörigen Errungenschaften angewandter Mathematik, die heut das ehemals lebendige Menschsein in der Gesellschaft und an ihr zum Ersticken bringen.

Kaum ist dem noch hinzuzufügen, daß diese protoplasmische Verhärtung des Gesellschaftskörpers, seine rasch zunehmende Erstarrung einerlei ist mit der betonten Versachlichung aller mitmenschlichen Verhältnisse, welche es nahelegt, von einer Mechanik der Gesellschaft in demselben Sprachsinne zu reden, wie man mitunter sogar von einer Mechanik des Geistes zu reden sich nicht gescheut hat. So ziehen die Begriffe Erhärtung und Erstarrung des Gesellschaftskörpers mit dem Begriff zunehmender Versachlichung auf das nämliche Übel unabwendlicher Alterung seiner aufbauenden Einheiten, wobei es abermals nur eine Selbstverständlichkeit ist, daß insonderheit die steigende Versachlichung der mitmenschlichen Bezüge diejenige Gesellschaftsklasse am schwersten treffen muß, die sich vorzugsweise als die wirklich arbeitende und werktätige, ja werkschaffende betrachtet. Das seiner bewußt gewordene Proletariat also, welches nun seinerseits in den Zustand einer dauernden Empörung gegen eine derartige Gesellschaft versetzt und gehetzt wird. Nur eben, daß die von den pseudomessianischen Welterlösern verordneten Heilmittel, das falsch diagnostizierte Übel in einem rasend beschleunigten Zeitmaße verschlimmern, statt es zu bessern. Denn letzten Endes gipfelt ja die ganze pseudomessianische Therapie zuhöchst darin, daß sie sich ausgesucht der verderblichsten Auswirkungen der unseren Gesellschaftskörper heimsuchenden Krankheit als eines Heilmittels, das unfehlbar die Gesundheit bringen wird, bedienen zu sollen wähnt. Eine etwas eigentümliche Spielart von Homöopathie, mag man im ersten Augenblick denken. Nur freilich, daß sie im Unterschied zu echter Homöopathie, und ihrerseits vom Gesetz der großen oder größten Zahl besessen, statt winziger Verdünnung die massenhafteste Anhäufung beliebt und handhabt.

Nunmehr wir anderen aber? Wenn wir zu unserem eigenen Glauben unerschüttert stünden, würde es wahrscheinlich genügen, hier aus der Fülle des Säglichen, Unsäglichen eine einzige Aussage herauszugreifen, welche das Wesentliche in sich befaßt, in sich verdichtet.

Gesetzt nämlich, es gehöre im unwiderstehlichen Zuge der Menschwerdung, zweite Epoche, die Wiedervermenschlichung des völlig versachlichten und so auch entseelt-entseelenden Arbeitsvorganges zu den unabdingbaren Forderungen der Stunde: dann wird lediglich das Feuer des Geistordens, Geistanhauchs oder das Pneuma die Härte, Sprödigkeit und Kälte dieser Versachlichung von Fall zu Fall schmelzen können.

Oder, indem wir dieselbe Aussage, denselben Glaubenssatz aus der biblischen Bildersprache in die nüchterne Begrifflichkeit unserer Umgangssprache übertragen – vor allem und über allem tut not, daß dem von Max Weber dereinst entdeckten Typus der calvanisch-puritanischen Kapitalisten jetzt ein höherer Typus des Unternehmers folge. Ein Typus zwar, dem es gegeben ist, das impersonal vergleichgültigte Arbeitsverhältnis in ein mitmenschliches und so auch wieder persönliches Ich-Du und Wir–Verhältnis nachhaltig hinüberzuformen und emporzuläutern.

Dies wäre dann zugleich ein Typus, der als der des charismatischen Unternehmers gegen den calvanisch-puritanischen Kapitalisten mit dem auszubedingenden Vorbehalt abgehoben werden müßte, daß er uns heute schon in sehr verschiedenen Prägungen begegnet, für die der Sammelname Unternehmer bestenfalls noch ein Notbehelf ist. Vom “Foreman”, Vorarbeiter und Meister angefangen, die ein zunächst rein von ihrem Zwecke her zusammengestellte Werkstattgruppe zur echten Arbeits- und Arbeitergemeinschaft zu binden vermögen, bis zum Betriebsleiter und -eigner, den sogenannten Manager beiseite, kann dieser Typus reichen. Und wenn es bei uns zu dieser Frist noch etwas dem biblischen Stande der Gottesschreiber Ähnliches gäbe – fürwahr! Sie müßten in Ernst Abbe wohl den frühesten, längst aber nicht mehr einzigen Vertreter eines “mit Feuer getauften” Unternehmertums ehren für und für. Wobei der Umstand, daß auch Ernst Abbe im Sinne der erwähnten Evangelienliste nicht zu den eigentlichen “Jüngern” zählt, eher als Bestätigung denn Widerlegung gelten dürfte. Auch einen Biographen Ernst Abbes hat es übrigens nicht gehindert, ihn in der Nähe des Heiligen von Assisi, des Jüngers mithin aller Jünger, zu rücken.

So finden wir den charismatischen Unternehmer meist still und unauffällig, manchmal geradezu verborgenen überall dort am Werke, wo sich in dem geschlossenen Ring zweckhaft aufeinander abgestimmter Tätigkeiten, genauestens vorberechneter Verrichtungen ein sozusagen “reiner Antrieb” unwillkürlich einstellt – oder wär es richtiger zu sagen “einstiehlt” –, wofern ihm Vorsatz, Wille Absicht weder gebieten noch verbieten können. Wiederum wird eben dieser, mit einem Seitenblick auf Kant “rein” geheißene Antrieb, wo er in den Seelen berufstätiger Menschen auftritt, ausschließlich dem Pneuma verdankt. Dem Geistodem und Schöpferhauch also, der in Sprachverstand des Evangeliums Ursacher, Träger, Urheber aller zwar in dieser Welt, nicht jedoch aus dieser Welt wirksamen Charismen ist. Einzig auf diesen Ursacher und Verspender der messianischen Charismen kommt alles an in einem Augenblick, da sich der Schicksalstag vorhersehen läßt, wo an jeder Stelle der von uns so heillos verwirtschafteten Erde die Wasser des Lebens von der Eiskruste der Versachlichung überzogen sein werden. Unabwendbar werden unter dieser Kruste die letzten, wahrhaft protoplasmischen, weil noch ganz und gar “erstbildstofflichen” Zellschäume des Gesellschaftskörpers, ja des Menschheitsleibes fort und fort erstarren – und unabwendbar wenigstens von uns aus und für uns. Doch steht zum Trost geschrieben, es sei das Menschenunmögliche bei Gott das Mögliche. Das Mögliche so auch bei ihm, der kraft seiner Menschwerdung ankünftig wurde als des Geistes Schöpferhauch. Taufend mit Feuer, träufelt er Funke um Funke in die ihre Bildsamkeit einbüßenden Gebilde eines Menschseins, welches sich auf den Todesweg begeben, und taut sie auf. Taut Leben und Seele gerade in den verlebtesten und entseeltesten Zellen des alternden Gesellschaftskörpers auf. In eben den Zellen also, darin tagaus, tagein jene gesellschaftserhaltende Arbeit verrichtet und geleistet wird, welche bis vor kurzem noch eines der mitmenschlichsten Ich-Du-Verhältnisse gewesen ist, zutiefst eingebettet in das unteilbar eine, urwüchsige Volkswerk der “Leiturgia”.

Der Sinn der Darlegung ist nicht zu verfehlen. Im Gang der menschlichen Geschichte schreitet auch eine entropische Erstarrung des Gesellschaftskörpers, anhebend in seinen ursprünglich bildsam halbflüssigen Zellschäumen, unwiderruflich, unumkehrbar fort. Aber im Zug und Vollzuge der Menschwerdung winkt dieser nämlichen Erstarrung eine allmähliche, ob auch in der Geschichtszeit nicht wirklich vollendbare Lockerung und Lösung, kraft des messianischen Gnaden-, Geist- und Gottesfunkens zwar. Mit hohem Bedacht indes gedenkt das Evangelium neben der Taufe mit dem Feuer des Pneuma durchaus auch des Salzens mit demselben Feuer. So daß auch dies andere Gleichnis, wiewohl es sich eines Bildes von minderer Urtümlichkeit und Mächtigkeit bedient, einiger erläuternder Worte benötigt. Als Hauptunterschied der beiden Gleichnisse drängt sich ungesucht auf, daß die Gewalt der Feuertaufe einzig dem Christus Messias zu Gebote steht – er aber das Salzen mit Feuer seinen Jüngern, seinen Sendboten auferlegt.

Darüber hinaus sinnt ihnen der Täufer mit dem Feuer an, mit dem Salz des Pyr-Pneuma den Leib der Völker und der Menschheit, um ihn vor Fäulnis zu bewahren, nicht nur zu durchwürzen, sondern geradezu Salz zu sein und zu bleiben! Für sie, die Berufenen, die Erwählten gilt darnach das Doppelte, erstlich, mit Feuer dieses Erdreich zu durchsalzen, und zweitens, solch salzendes Feuer, ohne taub und dumm zu werden, immerdar zu sein. Wiederum erhellt aus sich selber, daß der Leib der Menschheit auch das Salz der Apostel bloß insoweit aufzunehmen vermag, als seine erkaltenden und verkalkenden Zellen vom taufenden Feuer des Christus Messias aufgetaut werden. Erfaßt, aufgetaut und verjüngt oder, getrauen wir’s uns auszusprechen – in ihm und aus ihm wiedergeboren werden. So geht nach der unumkehrbaren Ordnung des Geschehens die Taufe mit dem Feuer dem Salzen und Gesalzenwerden mit ihm nicht sowohl voraus, als daß sie es ihrerseits ermöglicht und bedingt. Oder um denselben Befund mit einer aristotelischen Wendung zu umschreiben – der Christus Messias “ist früher” als die Apostel, geht ihnen vor und ist darum früher auch am Werk. Eine vollkommene Folgerichtigkeit im Charismatischen und Pneumatischen paßt solchermaßen das Sein und Tun der Jünger dem Wesen und Wirken des Meisters genauestens an und ein. Eben dieses Geschichtlich-heilsgeschichtliche Zusammen- und Wechselspiel des wahren Messias mit den wahren Messianden, es wird “am Ende” auch, des sind wir andern zuversichtlich und gewärtig, den Pseudomessias end-gültig überspielen.